Ganz anders als heute wurde ich 2018 völlig ungeplant mit Louise schwanger. Ich stand gerade kurz unterhalb des Gipfels des Tschischgeles im Sellrain, Tourenski unter den Füßen, die Wangen gerötet von der Kälte, als ich fast aufgeben musste. Wie so oft war ich nur mit Männern unterwegs, wollte mir keine Schwäche anmerken zu lassen. Als Mädel muss man am Berg ja zu 150% mithalten können, um Teil der Seilschaft zu werden. Mir war schwindelig, übel – der Gipfel schien plötzlich meilenweit entfernt. Dass ich schwanger sein sollte, damit habe ich zu diesem Zeitpunkt kaum gerechnet. Meine Periode hatte ich nach Absetzen der Pille schon seit über 2 Jahren nicht mehr, ich schob es auf die jahrelange Hormongabe und das Jetlag durch meine Schichtarbeit als Flugbegleiterin. Tage später heulte ich nurmehr. Fühlte mich schwach, müde, allein.
Ungeplant schwanger mit Louise
Als ich dank einer Freundin Wochen später doch einen Schwangerschaftstest machte und dieser positiv ausfiel, war mein erster Gedanke: „Sch…! Der Ortler!“ Wir hatten eine Hochtour auf den Ortler geplant, wollten Skitour gehen in Japan. Völlig nichtig im Nachhinein, damals brach eine kleine Welt zusammen. Obwohl ich als Flugbegleiterin bei einer Schwangerschaft sofort ins Beschäftigungsverbot gehen darf, flog ich erstmal weiter – ich konnte meine neue Realität noch nicht annehmen. Wir wollten Kinder, klar. Aber doch nicht jetzt! Und nicht so schnell. Wie bei jedem, eigentlich. Schon bald schlug der Schock in Freude um. Dennoch war ich fast die einzige im Freundeskreis, die schwanger war, oder ein Kind hatte und so kam es mir auch nicht in den Sinn, in der Schwangerschaft mal einen Gang zurückzuschalten.
Ich nutzte das Beschäftigungsverbot, um endlich mal alle Bergtouren zu machen, die ich noch auf der To-Do-List hatte. 2000hm auf den Dachstein ohne Seilbahn im 6. Monat, Trailrun über den Herzogstand im 7. Monat, endlich eine Sportkletterroute im 8. Grad durchsteigen, Wilder-Kaiser-Durchschreitung im 8. Monat. Mir ging es gut, ich war ja nicht krank, nur schwanger, dachte ich. So wenig krank, dass ich nach dem Blasensprung (nach einer 1000hm Bergtour) mich per Fahrrad in die Klinik einlieferte.
Louise war gesund, klar. Ich hatte auch nichts anderes erwartet – kannte garnichts anderes. Vielleicht zum Glück.
Der Schock
Als wir uns zweieinhalb Jahre später für ein zweites Kind entschieden, klappte es sofort im ersten Anlauf. Ich ging – natürlich- wieder vom besten aus. In der 10. Woche stand der erste Ultraschall an. Ich hatte schon Blutungen, sorgte mich, dass etwas nicht stimmte.
„Es tut mir leid, ich sehe keinen Herzschlag“
Der Satz schlug ein wie eine Bombe. Ich war völlig überfordert, zitterte, rief meinen Mann an, der Louise aus der Kita abholte und mit mir ins Krankenhaus fuhr, zur Ausschabung. Dass es andere Optionen gab, als direkt in die Klinik zu fahren, sagte mir mein Gynäkologe nicht. Es sei normal, das sei die Natur, vielleicht war es besser so. Ich spielte die Starke, redete mir ein, dass das kein großes Ding sei. Lars weinte, ich nicht. Bis mich die Realität 3 Wochen nach der Ausschabung einholte. Tränen, Trauer, unendliche Enttäuschung. Um den „Fehler“ auszumerzen, begannen wir sofort wieder mit der Planung für das nächste Kind. Ich würde ja bestimmt gleich wieder schwanger und die Trauer würde durch die Freude auf das neue Leben ausgemerzt. Monate vergingen. Nichts passierte.
Besuche beim Gynäkologen (unter Tränen) wurden mit einem „Na, sie wissen ja, wie’s geht. Ha, ha“ kommentiert. Ich fing an zu lesen, zu hoffen, zu planen. Dass meine Zyklen 70 Tage oder länger dauerten, machten es noch schlimmer. Vielleicht ist ja genau heute „der“ Tag, den man nicht verpassen darf. Es fing an, dass wir Sex nach Plan hatten. Nicht romantisch. Einfach ungut.
Der Weg in die Kinderwunschklinik
Bis eine Freundin mich dazu drängte, eine Kinderwunschklinik aufzusuchen. Mittlerweile waren alle Freundinnen um mich herum (wieder) schwanger, nur bei mir tat sich nichts. Ich konnte die Ratschläge über Tee, Homöopathie, weniger Sport, mehr Sport, kein Zucker, dies und das Mittelchen nicht mehr hören. Ich war doch gesund, lebte gesund, tat alles, was in meiner Macht stand.
Der Weg in die Kinderwunschklinik war die absolut richtige Entscheidung. Nach einer Sekunde Ultraschall stand fest: PCO. Polyzystisches Ovarsyndrom. Dies bedeutete in meinem Fall: kein Eisprung – kein Kind. Etwa eine Million Frauen in Deutschland ist betroffen, kaum jemand spricht darüber. Warum das kein anderer Gynäkologe bisher gesehen hat, obwohl sich die Zysten wie eine Perlenkette entlang des Eierstocks aufreihten und sogar für einen Laien wunderbar sichtbar waren, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Ich heulte anfangs, wollte nicht so stark in die Natur eingreifen. Sah aber bald ein, dass ich einfach die Vorteile der modernen Medizin nutzte, die jeder andere Patient bei seinen Leiden auch nutzt.
PC… was?
PCO ist zum Glück gut behandelbar. Ich bekam Letrozol verordnet, ein Mittel, das die Eireifung unterstützt, spritzte mir Hormone in den Bauch, eine Excel-Tabelle verriet uns, wann wir Sex haben durften. Wunderbar romantisch, kann ich nur empfehlen! Die Medikamente schlugen gut an, jeden Monat reifte pünktlich ein Ei heran. Die Monate unterteilten sich in Phasen des Hoffens, des Wartens und der riesengroßen Enttäuschung, wenn man wieder einen negativen Schwangerschaftstest in den Händen hielt. Dazu kam zu Beginn unendliche Übelkeit, da mein Körper völlig überfordert war mit der Menge an Chemie, die plötzlich meinen Körper flutete.
Im vierten Monat der Kinderwunschbehandlung setzte ein Abgang in der 5. SSW dem Kinderwunschtraum noch das Sahnehäubchen auf. Der Grund? Höchstwahrscheinlich die fehlende Gebärmutterschleimhaut, die sich dank zwei Ausschabungen nicht mehr richtig aufbaut. Das Problem ist, dass man den Aufbau der Schleimhaut kaum unterstützen kann, es gibt einfach kein Medikament, dass da Wirkung zeigt.
Hausmittel und natürliche Medizin
Ein befreundeter Physiotherapeut behandelt mich einmal im Monat osteopathisch im Bereich der Gebärmutter und erzielt damit tatsächlich eine Wirkung: immerhin ein paar Millimeter wachsen meistens heran. Dazu kommen viele lustige Hausmittelchen, die man sich in stundenlanger Kleinarbeit aus hoffnungslos überfüllten Kinderwunschforen zusammensammelt: Granatapfelsaft, Himbeerblättertee, Vitamin E, L-Argininin. Ob’s hilft, weiß wohl niemand, aber man klammert sich naturgemäß an jeden Strohhalm.
Je mehr Leute man fragt, desto mehr Tipps bekommt man. Der wohl häufigste Tipp: „Mach dir keinen Stress“. Ich lächle nur noch müde darüber. Alle, die meine Situation nachvollziehen können, wissen, warum.
Ich weiß zudem, dass mein Körperfettanteil wahrscheinlich eher an der unteren Grenze kratzt. Bei zu geringem Körperfettanteil können Frauen erwiesenermaßen schwieriger schwanger werden. Ich versuche schon, weniger Sport zu treiben. Es gelingt mir aber nur in Maßen. Die Unterdrückung meines natürlicherweise hohen Bewegungsdrangs führt zu einem psychischen Ungleichgewicht, das auch nicht gesund sein kann. An zu wenig Essen liegt es bei mir auch sicher nicht – das ist wirklich mein kleinstes Problem! Wir ernähren uns ausgewogen, vegetarisch, ballaststoffreich, und mit genügend Kasspatzn und Schokolade zwischendurch. Völlig normal und maximal undogmatisch.
Kinderwunsch ist kein Tabuthema!
Ich weiß durch Eure vielen Nachrichten der letzten Wochen und Monaten, dass es enorm vielen genauso geht wie mir. Deswegen wollte ich Euch an dieser Stelle meinen individuellen Weg nachzeichnen. Zu Erfolg hat er bisher noch nicht geführt, aber vielleicht hilft es der ein oder anderen zu wissen, dass sie nicht allein ist. Unerfüllter Kinderwunsch ist kein Tabuthema. Redet darüber, seid offen – ich bin mir sicher, dass ihr auf offene Ohren und Arme stoßt. Es gibt keinen Grund, sich zu schämen, sich zu hassen. Holt Euch Hilfe, sei es psychischer und/oder physischer Natur. Ihr seid nicht allein. Versprochen! Wenn da noch ein Wesen ist, das zu Euch will, dann helft ihm, zu Euch zu kommen. Das hat auch nichts mit der Liebe zu dem anderen Kind/den anderen Kindern zu tun. Es ist davon völlig unabhängig. Und ja, ich bin dankbar, dass es Louise gibt. Und ich bin noch dankbarer, wenn Louise ein Geschwisterchen bekommt und sich die Liebe noch verdoppeln kann.