Das „Mindful Mountain“ – Programm. Drei Tage allein im Pitztal.

Einfach mal nur für mich sein.
Einen Rucksack packen, in dem sich nichts befindet, ausser mein minimalistisches Gepäck. Kein Spielzeug, keine Kinderflasche, keine Wechselkleidung.
Loslaufen, ohne eine Kraxe schultern zu müssen, ohne Rücksicht auf kurze Kinderbeine zu nehmen.
Ohne Kompromisse, ohne … Familie.

Lars war viel unterwegs in den letzten Monaten, ich war viel mit Louise alleine. Es funktioniert super mit uns beiden – es fühlt sich mittlerweile fast an wie eine kleine Mädels-WG, wenn Papa weg ist. Wenn er wieder da ist, ist es dementsprechend aber auch eine ziemlich Umstellung für uns drei, die nicht selten im Streit (bei uns) oder in Wut (bei Louise) endet.

„Fahr Du doch auch mal wieder weg!“ schlug Lars mir deswegen vor.
Er wollte auch mal exklusive Papa-Zeit mit Louise genießen. Ohne Mama, die immer alles besser weiß. Völlig verständlich und wichtig für die beiden.
Als sich dann die Möglichkeit bot, mit dem „Mindful Mountain“ – Programm drei Tage ohne Familie in den Pitztaler Bergen unterwegs zu sein, war ich sofort dabei.

 

Das „Mindful Mountain“ – Programm

 

 

„Neuartige Wege aus der Stressfalle“ lautete der Untertitel des Programms.
Grenzen überwinden, Achtsamkeit schulen, Resilienz üben. Zugegebenermaßen alles Themen, die ich aus Studium und Beruf schon ausgiebig kannte, aber diese Themen am Berg zu behandeln, erschien mir durchaus spannend.
Und dass das Leben als Mutter stressig ist, das weiß wohl jede von uns.
Eine Psychologin und ein Bergwanderführer sollten uns deswegen in den nächsten Tagen auf unseren Touren begleiten.
Denn Bergsteigen und Stressbewältigung, das ist ja an sich schon eine perfekte Kombination. Das ganze noch unter Anleitung, mit fixen Übungen und neuartigen Ideen – unschlagbar.

 

Per Bahn und Bus ins tiefste Tirol

 

Zunächst musste ich erstmal nachsehen, wo sich das Pitztal überhaupt befindet. Ein schmales Tal schien es zu sein, eingerahmt von hohen Gipfeln und eisigen Gletschern. Dass es dennoch so gut per Öffis zu erreichen war, erstaunte mich umso mehr.
In weniger als zwei Stunden Bahnfahrt saß ich schon im Bus, der mich höher und höher, tiefer und tiefer ins Tal hinein brachte. Immer steiler fielen die Bergflanken um mich herum ab. Das rauschen des Gebirgsbaches hörte ich sogar im Inneren des Busses. Entschleunigung pur, schon bei der Anreise.
Ein wenig aufgeregt war ich schon, als ich endlich das Hotel Gundolf kurz vor dem Talende erreichte.
Wie wird es wohl sein, mit fremden Mädels am Berg?

Meine Sorgen waren sofort zerstreut. Mit einem Kaffee saßen wir vier Teilnehmerinnen direkt den restlichen Nachmittag auf der Sonnenterrasse, ratschten, als ob wir uns schon ewig kennen würden.
Schon bald stießen auch Anna Maaß, die Psychologin und Philipp Eiter, ihr Cousin und unser Bergwanderführer dazu. Dass im Tal praktisch jeder mit jedem Verwandt ist, durften wir in den nächsten Tagen noch öfter erfahren.
Ich löcherte Philip direkt über seine Arbeit als Bergwanderführer, interviewte ihn über die Gipfel um uns herum und wollte alles wissen über das Leben hier im Tal. Das „Tal“, das immerhin auf 1700 Metern Höhe lag. Ein Hochtal, wenn man so will.

 

Achtsamkeit schulen: Im Wald

 

Nachdem wir uns alle besser kennengelernt haben, stand nach dem Abendessen schon unsere erste Einheit auf dem Programm: Achtsamkeit.
Wir spazierten im Sonnenuntergang in ein kleines Waldstück. Dort sollten wir fühlen, spüren, hören. Die Natur mit allen Sinnen wahrnehmen. Augen zu, Gefühle an. Kaum verwunderlich, dass schon hier bei den ersten Teilnehmerinnen die Tränen flossen. Das Konzentrieren auf sich selbst passiert leider viel zu selten. Und wenn, dann mit voller Macht. Aber dafür sind wir da. So soll es sein. Hier gibt es kein Werten, kein Beurteilen. Jeder darf sein. So wie er ist.

 

Grenzen überwinden: Brandkogel & Rifflsee

 

Am nächsten Morgen starteten wir in der Früh gemeinsam zu unserer Tour auf den Brandkogel. Phlipp und Anna erwarteten uns schon freudestrahlend und für mich war es eine Ehre, mit Einheimischen „ihre“ Berge zu erkunden. Der Rifflsee lag noch im Morgenlicht, wunderschön und still. Philip erklärte uns einiges zu der einzigartigen Gletscherlandschaft und wir kamen aus dem Staunen kaum heraus.

Nicht die Wanderung sollte heute die Herausforderung sein, sondern das, was uns am Gipfel des Brandkogel erwartete. Wie es so ist mit vier Mädels am Berg ging es rege schnatternd hinauf auf den Gipfel. Dort waren wir so überwältigt von der genialen Aussicht, dass wir unsere Tagesaufgabe im wahrsten Sinne des Wortes übersprungen haben.

 

 

Mut fassen: der Sprung über die Felsspalte

Kurz vor dem Gipfelkreuz zieht sich ein tiefer Spalt durch den Felsen.
Den sollten wir bewusst überschreiten. Unsere Emotionen, sie sich dabei bei uns freisetzen, nachfühlen. Einatmen, Ausatmen, Grenzen überwinden. Mut beweisen. Denkmuster durchbrechen.

Gut, wir sind einfach drüber gehüpft, machten Fotos, genossen die Aussicht, bis Philip uns darauf hinwies, dass wir gerade auf unserer persönlichen Achtsamkeitsübung stehen.
Auch in Ordnung. Die persönlichen Grenzen sind eben bei jede(r) unterschiedlich.
Ein Felsspalt macht mir wenig, dafür habe ich panische Angst vor tiefem Wasser. Andere Lebenswelt, anderes Denkmuster. Spannend, sich das bewusst zu machen.

Meine persönliche Grenze ergab sich dann auf jeden Fall danach beim gemeinsamen Kaiserschmarrn-Essen auf der Sunna-Alm. Ich war so satt, dass ich am liebsten ein kleines Mittagsschläfchen eingelegt hätte.
Nichts da, unsere nächste Einheit mit Psychologin Anna wartete auf uns.

 

Selbstwirksamkeit: Am Rifflsee.

Idyllischer als jeder Seminarraum der Welt.
Am anderen Ende des Rifflsees suchte sich jede von uns seinen persönlichen Sitzstein für unsere nächste Einheit: Selbstwirksamkeit.
Das Vertrauen in mich, schwierige Situationen erfolgreich meistern zu können und Herausforderungen gewachsen zu sein.
Wie erlange ich dieses Vertrauen? Wie erlebe ich stressige, schwierige Situationen?
Kann ich Hilfe zulassen, oder will ich alles allein bewältigen?
Ein Fragebogen sollte uns bei der Selbsteinschätzung helfen – im Anschluss entwickelte sich eine lebhafte Diskussion über die Frage, wie jeder einzelne von uns Probleme angeht und löst.
Wir sind sehr offen miteinander, obwohl wir uns seit weniger als 24 Stunden kennen. Wir vertrauen uns, jeder darf sein. Eine wunderschöne Erfahrung.

Frühstück auf 3440 Metern

Das höchste für mich? Frühstück! Wenn das dann auch noch auf 3440 Metern über dem Meer stattfindet: doppelt hoch!
Schon lange vor Sonnenaufgang nahmen wir heute die erste Bergbahn hinauf in Richtung Pitztaler Gletscher. Im höchstgelegenen Café Österreich namens „Das 3440“, das zufällig Annas Papa gehört, durften wir heute den Tag beginnen. Da ist sie wieder, die feste Familienbande des Pitztals.

Bergführer Michael und Steffi vom Tourismusverband Pitztal sollten uns heute ebenfalls auf den Gletscher begleiten, die wir bei frischem Kaffee kennenlernen durften.
Gletscher? Bergführer? Richtig gelesen.
Heute erwartete uns das Highlight unseres „Mindful Mountain“ – Programmes: Eine Gletscher-Überschreitung inklusive dem Abseilen in eine Gletscherspalte.
Dass wir heute leider statt imposantem Bergpanorama nur dichten Neben sehen durften, tat unserer Vorfreude keinen Abbruch.

Wir zogen unsere Klettergurte und unsere Daunenjacken an und machten uns über einen felsigen Grat auf in Richtung Gletscher. Bergführer Michael achtete darauf, dass wir alle gut Schritt halten konnten und sich niemand überfordert fühlte.
Am Gletscher angekommen zogen wir uns Grödel an die Füße und stapften über das ewige Eis. Über uns die berühmte Wildspitze, unter uns das Taschachhaus, unser heutiges Ziel.

 

Ab ins Eis!

„Na, die ist doch schön!“ konstatierte Bergführer Michael bald und zeigte auf eine imposante Gletscherspalte direkt vor unseren Füßen. Im Handumdrehen schraubte er die Eisschrauben in das Eis, legte Karabiner und knotete das Zeil daran fest.
„Wer will zuerst runter?“ grinste er uns an. Meine Hand schnellte natürlich sofort in die Höhe. Ab ins ewige Eis! Für mich zugegebenermaßen dank verschiedener Eis- und Felskurse keine ganz neue Übung, weswegen sich mein Puls auch noch im Normbereich bewegte. Karabiner einhaken, langsam zurückgehen, Beine durchstrecken, und langsam hinunterlaufen. Unten erwartete mich schon Philipp, der es sich auf einer kleinen Gletscherbrücke bequem gemacht hat und uns zur im ewigen Eis zur Seite stand.

Stolz und gelöst erschien mir die Gruppe danach. Grenzen kennengelernt, Grenzen überwunden. Stärke, Mut und neues Selbstvertrauen gewonnen. Dass der Spaß bei unserer Gruppe niemals zu kurz kam, bewiesen spätestens die kleinen Tänzchen von Steffi und mir, die wir hin und wieder einlegten.
Am Taschachhaus angekommen erwartete uns ein Mittagessen mit einem ganz besonderen Ausblick: dem Blick zurück. Über den Gletscher, die Felszacken, bis hinauf zur Wildspitze. Wirklich einmalig schön.
Und dass wir den Weg zurück durchs Tal dann noch per Leih-Mountainbikes bezwingen durften, setzte unserem Tag die Krone auf. Statt 17 Kilometern wandern, sausten wir laut scherzend zurück ins Tal. Stolz und glücklich über unsere neuen Erfahrungen am Berg.

 

Demut

Für mich endete hier das Abenteuer „Mindful Mountain“.
Ich musste heim, die Kinderwunschklinik rief. Meine ganz persönliche Resilienz-Aufgabe momentan.
Rückschläge einstecken und wieder aufstehen. Immer wieder aufstehen.

Der Berg lehrt uns, demütig zu sein. Sich richtig einzuschätzen. Vertrauen zu lernen und auch Vertrauen zu schenken. In uns, in unsere Gruppe, in die, die uns Helfen können.
Der Berg schenkt uns Kraft. Kraft für Neues, Kraft für Unbekanntes.

Das war es wohl, was mich dieses Wochenende gelehrt hat.
Danke, an meine neue Bergfamilie.

Danke, Pitztal. Für deine ursprüngliche, reine Kraft, die mich ganz bei mir sein ließ.
Und Danke an Papa und Louise, die mich zuhause mit Apfelkuchen empfangen haben. Und insgesamt ein bisschen traurig waren, dass ihre Papa-Tochter Zeit schon wieder vorbei war.

 

 

WERBUNG: Das Mindful Mountain Programm ist direkt bei Philipp über seine Website www.piztours.at buchbar. Anna und Philipp bieten ein 3-, sowie ein 6-tägiges Programm an, teilweise auch nur für Frauen. Die Gruppengröße liegt bei 4-6 Teilnehmern. Normale Kondition ist ausreichend!

 

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